Evangelion 3.0+1.01 Thrice Upon a Time: Filmkritik (2024)

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Von: Mario Giglio

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Evangelion 3.0+1.01 Thrice Upon a Time: Filmkritik (1)

Ein Meister seines Fachs verabschiedet sich mit Evangelion 3.0+1.0: Thrice Upon a Time nicht nur von seinen Charakteren und Spielzeugen, sondern von dem Werk, das ihn ein Vierteljahrhundert lang definiert hat. Hier unsere weitestgehend spoilerfreie Ersteindruckskritik eines Überfans.

Nach neun Jahren Wartezeit ist das Ende endlich gekommen: Via Amazon Prime Video erreichte uns heute auch außerhalb Japans der vierte und letzte Teil der „Rebuild of Evangelion“-Filmreihe, die seit 2007 noch einmal die Geschichte vom Kampf eines verstörten Jungen mit Riesenroboter gegen Monsterengel von vorn erzählt - und dabei doch so viel mehr ist als ihre Prämisse. Wie die genredefinierende Serienvorlage Neon Genesis Evangelion bleibt auch die Reboot-Quadrilogie trotz technischer Updates und komplett abweichender Story ein unendlich persönliches Werk ihres Schöpfers Hideaki Anno, der nicht anders kann, als mit seiner Mecha-Saga über sich selbst und sein Werk zu reflektieren.

Während der erste Film („Evangelion 1.11: You Are (Not) Alone“) sich noch weitestgehend an die Plotline der ersten sechs Serienfolgen hielt, wurden für den zweiten Teil („Evangelion 2.22: You Can (Not) Advance“) immer mehr Elemente gerimxed, komprimiert und umgestellt, nur um im dritten Film („Evangelion 3.33: You Can (Not) Redo“) komplett eigene Pfade zu beschreiten, was Fans des bisherigen Gospels teilweise überrumpelte. Meinungen gehen stark auseinander, wie zum Beispiel auch in meinem Evangelion-Podcast Track 26 zu hören war, als wir über die bisherige Reboot-Reihe redeten. Persönlich bin ich als langjähriger Überfan stets am Hadern gewesen, wie sehr ich mit der Neuinterpretation leben kann und empfand die Reihe bei jedem Rewatch ganz anders. Der abschließende Teil ist nun aber nicht bloß ein Abschied von „Rebuild“, sondern der letzte Vorhang für das „Evangelion“-Gesamtwerk. Die Erwartungen waren im Vorfeld dementsprechend gigantisch.

(Falls ihr überhaupt nichts über die Handlung wissen wollt, überspringt den folgenden Absatz einfach...)

So geht es ganz grob im Abschlussfilm weiter: Shinji Ikari war zuletzt doch wieder in einen Evangelion gestiegen, obwohl er beim vorigen Mal mit dem Near Third Impact eine weitere Beinahe-Apokalypse ausgelöst hatte. In den dadurch entstandenen Ruinen der Welt trifft er mit dem aktiven Ayanami-Klon auf eine menschliche Siedlung, in der er alte Bekannte wiedertrifft und seine tiefsitzenden Schuldgefühle verarbeitet. Misato, Asuka, Mari und die WILLE-Crew bereiten unterdessen einen letzten Angriff auf NERV beziehungsweise Shinjis Vater Gendo vor, dessen mysteriöses Human Instrumentality Project durch die Reaktivierung des gottgleichen Evangelion-13 und den apokalyptischen Fourth Impact umgesetzt werden soll...

Evangelion 3.0+1.01 Thrice Upon a Time: Filmkritik (2)

„Evangelion 3.0+1.0 Thrice Upon a Time“ (beziehungsweise 1.01, wie die leicht überarbeitete Fassung heißt) ist genauso überladen und nahezu undurchdringlich wie die vorigen Teile der „Rebuild of Evangelion“-Reihe. In den letzten zweieinhalb Stunden werden last minute völlig neue Evangelion-Einheiten, Longinus-verwandte Speere und bedeutungsschwanger benannte Raumschiffe mit christlich anmutenden, deutschen Namen ins Spiel gebracht, was selbst im Vergleich mit 3.33 wie absoluter overkill wirkt. Innerhalb dieses unübersichtlichen Weltuntergangkuddelmuddels sind jedoch so viele interessante Ideen, visuell spannende Einfälle und emotional aufgeladene Charaktermomente untergebracht, dass man aus dem Staunen und Fühlen fast gar nicht mehr herauskommt. Den vielen Eva-Emotionen, die sich seit dem letzten Teil angestaut haben, versucht man neben dem übertriebenen Anime-Feuerwerk in unterschiedlichen Animationsstilen ein Ventil zu bieten, was bei dem anstrengenden Erzählrhythmus mal besser und mal weniger gut funktioniert.

Gott stehe Euch bei, falls Ihr die vorigen Versionen der Geschichte überhaupt nicht kennt, denn wie kein anderer „Rebuild“-Teil arbeitet man hier mit zahlreichen Rückreferenzen, vor allem auf „The End of Evangelion“, das damalige Alternativende zur TV-Serie. Man ist sich wie immer der Erwartungen von Fans mit enzyklopädischem Wissen bewusst und spielt regelrecht damit. Nicht jedoch mithilfe eines klassischen Zeitreise-Elements, wie manche nach einem der Trailer und wegen des Filmtitels vermuteten, sondern weil das transzendentale Ritual zum nächsten Quasi-Armageddon erneut die Fiktion durchbricht, wodurch „Evangelion“-Wirklichkeiten sich vermischen und durch Realfilmsequenzen erneut Berührungspunkte mit unserer Welt entstehen. Eine dermaßen überrumpelte „Darf er das überhaupt?!?“-Fanreaktion auf manche Momente hatte ich zuletzt beim alles über den Haufen werfenden „Evangelion 3.33“ und als David Lynch im Twin Peaks-Revival Anstalten machte, den zentralen Mord an Laura Palmer ungeschehen zu machen...

Shinji erfüllte als Charakter stets zwei Metafunktionen: Er stand zum einen für Serienschöpfer Hideaki Anno, der seine Unsicherheiten als Animemacher durch Shinjis Unsicherheit, seinen Evangelion zu steuern, verarbeitete (Stichtwort: Evangelion steuern =„Evangelion“ machen). Gleichzeitig rechnete er durch seinen Protagonisten mit seinem Otaku-Publikum ab, das partout nicht erwachsen werden wollte oder unwillig war, sich jenseits seiner Obsessionen zu definieren. Ein Publikum, in dem er sich selbst reflektiert sah, wodurch die beiden Fiktionen Shinjis miteinander verschmelzen. Dass Anno seit damals immerhin selbst ein Stück weit reifer geworden und mit sich im Reinen ist, spiegelt dieser Film nun wider, in dem es nicht länger vordergründig um Depression und Zerstörungsfantasien geht, sondern vor allem auch um Wiederaufbau und Hoffnung für die Zukunft... auch jenseits der fiktiven Welt der Evangelions.

Evangelion 3.0+1.01 Thrice Upon a Time: Filmkritik (3)

Genau diesen positiveren vibe hatte ich mir ehrlich gesagt von diesem dritten Abschluss versprochen, nachdem Anno sich eine wohl nötige Pause von „Evangelion“ gegönnt hatte und mit „Shin Godzilla“ einen weniger kontrovers aufgenommenen Erfolg feiern konnte. Vermutlich schadet es auch nicht, dass er nach dem fatalistischen Finale von „The End of Evangelion“ eine Partnerin gefunden hat und mittlerweile glücklich verheiratet ist, was wohl auch einige gut gemeinte Charakterschicksale in 3.0+1.01 erklärt. Mit diesen Hintergrundinfos über das „Evangelion“-Mastermind verwundert vielleicht auch der überraschende Fokus auf Gendo Ikari etwas weniger. Dem Schutzpatron aller Rabenväter wird in letzter Instanz erstaunlich viel Empathie entgegengebracht, während wir erstmals seine Backstory erfahren, die weniger überraschend enthüllt, wie ähnlich er und Shinji sich waren und sind.

Die Vergangenheit und die Vaterfigur müssen aber überwunden werden, weil es an der Zeit ist, sich von allen Evangelions zu verabschieden, erwachsen zu werden und persönliche Verantwortung zu übernehmen, scheint die letzte Message von Anime-Daddy Anno an sein Publikum zu sein.

Fazit

Nach all der Zeit ergibt es fast keinen Sinn mehr, im Kontext von „Evangelion“ von der „Erfüllung von Erwartungen“ zu sprechen, denn allein, dass das Finale einigermaßen dem ungeheuren Hype standhalten kann, grenzt an ein Wunder. Meine vorläufige Bilanz nach der Erstansicht: „Evangelion 3.0+1.0 Thrice Upon a Time“ ist ein gigantischer, überladener, erstaunlicher, überwältigender Animebrocken mit Bewusstsein für die eigene Gravitas, dessen Verarbeitung mich noch eine ganze Weile kosten wird. Richtig kam mir bei weitem nicht jede kreative Entscheidung vor und emotional resonant wie das rohe Ende von Neon Genesis Evangelion oder filmisch brillant wie „The End of Evangelion“ ist es schon gar nicht. Aber das ist für jetzt in Ordnung, denn mit dem nun wirklich (?) letzten Abschlussfilm wurde ein Siegel gebrochen, das den endgültigen Abschied von „Evangelion“ einläutet, welcher in jedem Fall ein monumentaler Moment und ein unvergleichlich aufgeladenes Erlebnis war. „Evangelion“ ist im Animehimmel und all's right with the world.

Neben „Evangelion 3.0+1.0“ sind jetzt übrigens auch die Teile 1.11 bis 3.33 mit mehreren Sprach- und Untertitelversionen bei Amazon Prime Video verfügbar. Hier noch mal der japanische Originaltrailer zum Film:

Hier kannst Du „EVANGELION:3.0+1.01 THRICE UPON A TIME“ bei Amazon.de kaufen

EVANGELION:3.0+1.01 THRICE UPON A TIME

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